Das schönste Porzellan ist aufgetischt, in der Küche duftet es nach köstlich zubereiteten Speisen, dein schönstes Kleid hast du angezogen, dein Gesicht ist dezent geschminkt. Es ist ein besonderer Tag. Du möchtest euren gemeinsamen Hochzeitstag in trauter Zweisamkeit feiern.

Du hörst wie sich der Schlüssel im Schloss der Eingangstür dreht und dann wird plötzlich alles dunkel. Dein Blumenstrauss war die Faust in deinem Gesicht. Die warme Umarmung das Schleifen über den Boden hinweg durch die Scherben, über den Gang ins Schlafzimmer und dann knipst dein Gehirn deine Gefühle aus. Später stehst du unter der Dusche, das Wasser rinnt an deinem mit blauen Flecken übersäten Körper hinab, vermischt sich mit Blut. Du schaust in den Spiegel und versuchst die aufgeplatzen Stellen in deinem Gesicht zu überdecken. Du denkst, er hat es schwer in der letzer Zeit.

Du hast die Attacke überstanden, die Schläge eingesteckt, dieses Mal noch!

Ein Klischee? Überspitzte Darstellung?

Nein, solche Szenen sind durchaus eine Realität für viele Frauen. Und ich bin mir sicher, dass ein jeder von Euch, der diese Zeilen liest verstanden hat, dass sie dem Thema häusliche Gewalt gelten, welche viel zu oft in einem Feminizid, einem Frauenmord endet. Das verfügbare Zahlenmaterial geht auf die Jahre 2018 und 2019 zurück. Ob und wie sich dieses Gewaltphänomen während der Covid-19 Krise entwickelt hat, lässt sich durch Fehlen verlässlicher Daten nur schwer sagen.

Fakt bleibt, dass häusliche Gewalt auch in Luxemburg allgegenwärtig ist und dies auch mit tödlichen Folgen

Die Schwere dieses Verbrechens liegt darin, dass der Tod in Gestalt des Partners, vielleicht auch des Ex-Partners kommt. Von einer Person, die man einst liebte, die vielleicht sogar den Eid ablegte einen ein Leben lang zu beschützen.

2019 gab es in Luxemburg 739 Fälle von häuslicher Gewalt, 231 Wegweisungen wurden ausgesprochen. Dies bedeutet, dass der Täter sich für 14 Tage nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung aufhalten darf. Laut Angaben des "Comité national des femmes" gibt es im Schnitt täglich zwei Anrufe, welche in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt stehen und man geht davon aus, dass nur zwischen 5 und 10% aller Fälle überhaupt gemeldet werden.

Europaweites Phänomen

In Frankreich registrierte man 2019 104, in Deutschland 109, in Rumänien 84, in Großbritannien 70 und in Italien 65 Todesopfer. Allesamt Frauen, die durch die Hand ihres Partners ums Leben kamen. Aus Freund wurde Feind und das in den eigenen vier Wänden.

Stelllt euch vor, es ist Krieg und jeder schaut zu

Seit fast vier Wochen tobt der Krieg in der Ukraine, ein Land mitten in Europa. Im Gegesatz zu vielen Aussagen aus Politik und Medien, handelt es sich nicht um den ersten Krieg seit rund 80 Jahren auf dem europäischen Kontinent. Oder haben wir wirklich alle den Balkankrieg der 90 er Jahre ins tiefste Innere unseres Bewusstseins verdrängt? Srebrenica, Juli 1995, systematische Vergewaltigungen von Frauen und jungen Mädchen am fliessenden Band? Alles vergessen?

Wenn starke Männer vergangener Zeiten in ihrer selbstinszenierten Komfortzone nach Macht lechzen, ist Krieg oftmals die Antwort

Die Hauptziele in der Ukraine für Bombardierungen sind nicht etwa militärische Ziele oder Infrastrukturen, sondern die zivile Bevölkerung. Und wiederum sind es die Frauen, die in die Spirale der Gewalt hinein gezogen werden. Hab und Gut bleiben zurück, man schnappt sich die Kinder und flieht. Weg von der Gefahr, weg von dem Invasor. Mittlerweile sind rund 2500 Flüchtlinge in Luxemburg angekommen, eigentlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch zumindest sind diese Menschen hier sicher aufgehoben. Laut Schätzungen der UNO befinden sich derzeit 1,5 Milllionen Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder auf der Flucht.

Und Europa tut es Justitia gleich: sie trägt eine Binde vor ihren Augen, um das Unrecht nicht zu sehen und wartet darauf, dass die Waageschale in ihrer Hand zur einen oder anderen Seite kippt. Derweil zündelt ein kleiner, weißer, in die Jahre gekommener Mann fleissig weiter mit dem Feuer. Er geniesst das top inszenierte Kaffeekränzchen mit Flugbegleiterinnen der Aéroflot und übertünscht so für diesen Moment seine abscheuliche Fratze.

Auch wenn wir in Luxemburg frei und lautstark den internationalen Tag der Frauen begehen können, so sollten wir in kommender Zeit unsere Stimme denen Frauen verleihen, welche nicht mehr für sich selbst kämpfen können, da sie am Ende ihrer Kräfte sind. Dies wäre wiederum wahre und gelebte Solidarität.

 

Mylène Bianchy